Ein Dorf ohne Autos – undenkbar

Solange Verkehr fließt, müssen wir uns nicht mit der Ödnis beschäftigen

Nissens Woche – die neunteKlaus

Die Bundesstraße wird verlegt – bald können wir unseren Ort lebenswerter machen. Aber schaffen wir das? Eigentlich ist uns dieses Dorf schnurzpiepegal. Wir haben ja Alternativen.

Ein Dorf ohne Autos – undenkbar

Sonntag, erster März, zehn Uhr dreißig. Hinter dem Monitor geht mein Blick durchs Fenster auf die Dachschräge des Nachbarn. Dahinter dreht sich normalerweise der Rotor einer Windkraftanlage. Heute nicht, die Wolken hängen zu tief. Nur manchmal schimmert die im Kreis sausende rote Blattspitze hindurch. Kalter Regen, keine Sonne.

Mülltonnen, Asphalt und vor allem Autos prägen die Mitte unseres Dorfes. Von Aufenthaltsqualität ist hier keine Rede. Was machen wir bloß, wenn die Autos weg sind? Foto: Nissen

Mülltonnen, Asphalt und vor allem Autos prägen die Mitte unseres Dorfes. Von Aufenthaltsqualität ist hier keine Rede. Was machen wir bloß, wenn die Autos weg sind? Foto: Nissen

In wenigen Monaten werde ich Baumaschinen auf dem schweren Lehmboden neben dem Windrad sehen. Der Bund investiert über 30 Millionen Euro, damit mein Dorf von den Autos befreit wird. Mehr als 20 000 rollen jeden Tag hindurch, im engen Dorfkern nur einen Meter von den Wohnzimmerfenstern entfernt. Jahrzehnte haben die Wöllstädter für die neun Kilometer lange Umgehungsstaße gekämpft. Am Mittwoch erklärten ihnen die Planer auf einer Bürgerversammlung den Bau-Ablauf. Da meldeten sich mehrere Dorfbewohner und fragten: Wie laut wird die Straße? Gibt es Lärmschutzmaßnahmen? Die Planer schüttelten dezent die Köpfe. Ein paar Erdwälle, mehr aber nicht. Die Wöllstädter könnten ein wenig dankbarer sein. Noch dröhnt die Blechlawine vor ihren Haustüren, schon fordern sie Flüster-Asphalt für die kilometerweit entfernte Umfahrung.

Bücherzelle und Eisdiele wären toll

Spannend finde ich, was unser junger Bürgermeister für die Zeit nach der Befreiung vom Autoverkehr plant. Ab 2017 haben wir viel Platz in beiden Ortsteilen. Den sollten die Bewohner in Besitz nehmen, meint der Bürgermeister. Wöllstadt wäre dann über die eigene Wohnung hinaus erlebbar. Für den Mai plant er eine Leitbilddiskussion und vier Workshops, in denen jeder Ideen beisteuern kann. Ich auch!

Ich will, dass mein Dorf endlich eine Eisdiele bekommt. Mit Außenbewirtung. Die Dönerbude in der ehemaligen Metzgerei soll ebenfalls Tische auf die Straße stellen. Es fehlt noch eine Pizzeria und im Klosterhof eine Straußwirtschaft, die den Apfelwein selbst keltert oder von der Roten Pumpe in Nieder-Mörlen bezieht. Unser winziger Nahkauf sollte sich ausweiten dürfen, damit er auch Creme Fraiche und Soja-Joghurt ins Sortiment aufnehmen kann. Die zentrale Kreuzung in unserem Dorf soll ein Platz mit Linde und Brunnen werden. Darauf eine alte Telefonzelle oder ein gläserner Pavillon, in dem man ausgelesene Bücher zum Verschenken deponieren kann. Auch ein Boule-Platz wäre nicht schlecht…

Wer ein Auto hat, braucht daheim keine Flaniermeile

Aber ich fürchte, daraus wird nichts. Auf solche spinnerten Ideen können nur Zugezogene kommen. Wer spielt hier schon Boule! Und die Kreuzung ist für Autos da. Schließlich werden auch künftig Pendler aus dem Osten des Kreises versuchen, auf kürzestem Wege (und damit durch unser Dorf) auf die nur vier Minuten entfernte Autobahn zu kommen. Die Dorfbbewohner suchen Aufenthaltsqualität nur in ihren Häusern und Gärten. Kino, Gastronomie und Flaniermeilen finden sie im nahen Bad Nauheim oder Frankfurt. Mit dem Auto ist man ja schnell da. Man wohnt halt zufällig hier. Den meisten ist dieser Ort schnurzpiepegal. Mir fiel das erst auf, als ich im vorigen Jahr ein paar Monate in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten durfte. Und dort sah, wie intensiv sich viele Menschen mit dem Begriff Heimat auseinandersetzen. Denn die ist dort durch Überalterung und Verfall der Infrastruktur gefährdet.

Taunus Das war die neunte Woche. Die zehnte bringt die ersten Frühlings-Impressionen. Zum Schluss noch ein nettes Bild vom winterlichen Samstagsspaziergang im Taunus bei Oberreifenberg, wo der greise Gerhard Zwerenz wohnt. Kann sich noch jemand an ihn erinnern?

Ein Gedanke zu „Ein Dorf ohne Autos – undenkbar

  1. Hallo Herr Nissen,
    eine Familientradition geht in die nächste Generation, denn ich werde es tun: Ab Juli 2015 wird es im Klosterhof wieder Obst und Gemüse geben, dazu noch Kartoffeln, Eier, Tee, Kürbiskernöl, Nudeln, Brot, etc. „Aus der Region-für die Region“
    Dazu gehe ich ab 01.07.15 mittwochs auf den Wochenmarkt nach NiWö und freitags ein Verkauf im Klosterhof. Jeweils ab 13 Uhr.
    Ich bin sehr aufgeregt und freue mich auch besonders auf die Kundschaft aus Wöllstadt.

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