Lesestoff

Ruhm und schwarze Zahlen

Energiedorf Bergheim gewinnt Klimaretter-Preis und macht Gewinn

Von Klaus Nissen

Der mit 5000 Euro dotierte Umweltpreis des Wetteraukreises von 2012 war nur der Anfang. Jetzt kassiert die Heizungswärme-Genossenschaft im Ortenberger Stadtteil Bergheim 10 000 Euro Preisgeld. Die Leser des Online-Magazins „Klimaretter.info“ wählten die Bergheimer zur „Bürgerenergie-Genossenschaft des Jahres 2013“. Gegen 37 andere Genossenschaften punkteten die Bergheimer mit dem besten Geschäftsmodell. Den zweiten Platz belegte eine Genossenschaft aus Berlin-Brandenburg, die ihren Mitgliedern Anteile an einem Windkraftprojekt vermittelt. Den dritten Platz belegte eine 850 Mitglieder zählende Genossenschaft in Mecklenburg. Bundesweit investieren jetzt 136 000 Menschen in die umweltverträgliche Strom- und Wärmeproduktion, schreibt Klimaretter. Das seien 50 000 mehr als noch vor einem Jahr.

bergheimWas passiert in Bergheim? Das Dorf hat knapp 700 Einwohner in 250 Wohnungen. Die 2008 gegründete Genossenschaft versorgt inzwischen 110 Häuser mit 160 Wohnungen durch ein eigenes Fernwärmenetz, berichtet der Ortsvorsteher und Aufsichtsratsvorsitzende Hartmut Langlitz dem Kreisanzeiger. Auch das Bürgerhaus, die Kirche, die Kita und das Sportlerhaus erhalten die Heizungswärme aus dem großen Holzhackschnitzel-Ofen neben dem Bleichenbach. Das geschredderte Holz aus heimischen Wäldern wird von einem Unternehmer angeliefert. Seit Juli bauen die Genossen nebenan ein eigenes großes Holzschnitzel-Lager, um noch unabhängiger zu werden. Die 10 000 Euro Preisgeld können sie dafür gut gebrauchen.

Rechnet sich das Ganze? Der Aufwand ist enorm. Mehr als drei Millionen Euro investierten die rund 110 Genossen bereits. Jeder gab mindestens 600 Euro als Einlage, berichtet Hartmut Langlitz. Weiteres Geld stammt aus Krediten. Mehr als 800 000 Euro kamen aus diversen staatlichen Fördertöpfen. Gebaut wurde nicht nur der Ofen, sondern auch eine Solarstromanlage auf dem 320 Quadratmeter großen Dach der Halle. Sie liefert pro Jahr rund 44 000 Kilowattstunden Strom, den die Genossenschaft selbst verbraucht und teilweise ins Netz einspeist. Zur Heizanlage gehört noch ein 40 000 Liter fassender Warmwasserspeicher, der im Notfall auch von einem neuen Ölbrenner der Genossenschaft gespeist werden kann. In den sowieso zur Kanalsanierung aufgerissenen Straßen von Bergheim verlegte die Genossenschaft schließlich fünf Kilometer Heißwasser-Rohre bis in die Häuser der Mitglieder.

Das rechnet sich, sagte Hartmut Langlitz. „Zum einen brauchen wir keine eigenen Heizkessel und Brenner mehr in unseren Häusern. Es riecht nicht nach Öl. Und mancher hat sich auf dem frei werdenden Platz eine Sauna eingebaut.“

Zum anderen bezahle er selbst wie die anderen Genossen jetzt weniger Geld für sein warmes Leitungswasser und die Heizwärme. „Die Kosten entsprechen etwa einem Heizölpreis von 70 Cent pro Liter. Wer jetzt noch mit Öl heizt, muss ja 85 Cent und mehr aufbringen.“ Alles in allem schreibe die Genossenschaft jetzt schwarze Zahlen, berichtet der Aufsichtsratsvorsitzende. Und das schon im dritten Betriebsjahr. Jeder Genosse besitze inzwischen ein anteiliges Anlagevermögen von gut 30 000 Euro.

Es gibt auch Nachteile. Die Gemeinschaftsheizung habe recht viele mechanische Teile, so Langlitz. „Da verstopft auch mal ein Ast die Feuerung. Dann muss jemand hin und reagieren.“ Rund 40 Genossen müssen in einem Dreierteam einen zweiwöchigen Heizungsdienst schieben. Wenn sie die Anlage per automatischem Notruf alarmiert, müssen sie auch mal nachts raus. Das passiere zum Glück selten, so Langlitz.

 

Ray-Kaserne in Friedberg als Wohnviertel am Südhang

Zwei Interessenten legen bald Konzepte für die 76 Hektar große Militärfläche vor

 Von Klaus Nissen

Seit fünf Jahren sind die Fenster der Ray-Barracks abends dunkel. Im Winter werden die gut  60 Gebäude der früheren US-Kaserne nicht beheizt, das Wasser ist abgestellt. Zurzeit wuchert das Gras kniehoch auf dem einst sorgfältig gepflegten Rasen. Hinter dem Haupttor kämpfen sich Birken durch die Betonritzen ans Licht. Die größte ist eineinhalb Meter hoch. Nur die Mähmaschine des Hausmeisters verhindert, dass auf dem riesigen Gelände am südlichen Stadtrand ein Wald zwischen den verlassenen Häusern wächst. Was wird aus der Ray-Kaserne – dem Ort, an dem Elvis Presley zwei Jahre lang Militärdienst schob?

Womöglich bleibt das 760 000 Quadratmeter große Filetgrundstück noch jahrelang ungenutzt. Es gibt aber Hoffung, dass sich bald Käufer finden und viele Wohnungen bauen.

Drei Interessenten kennt Christiane Pfeffer, die Leiterin des Liegenschafts-Amtes. Die Stadt selber könne sich den Kauf der Kaserne nicht leisten. Zwei Interessenten gebe es momentan für das gesamte Kasernenareal. Wer es ist, möchte Pfeffer nicht verraten. Im September sollen sie Konzepte vorlegen, wie sie die Kaserne umgestalten wollen. Erst wenn es zu einem Kaufvertrag kommt, werde die Stadt einen Bebauungsplan erarbeiten.

Auch die Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG habe das Gelände besichtigt, so Christiane Pfeffer. Das Interesse an neuem Wohnraum sei groß: „Junge Familien aus dem Rhein-Main-Gebiet überlegen sich gut, ob sie auf dem Riedberg bauen oder lieber zu uns kommen. Auch von Friedberg aus sind sie mit der Bahn in 20 Minuten in Frankfurt.“.

Der Bund ist Besitzer der Ray-Kaserne. Von Koblenz aus verwaltet Gerhard Schröder in der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) die Friedberger Ex-Kaserne. Anfang Oktober werde er sie wieder bei der Immobilienmesse Expo Real in München anbieten. „Wir suchen fleißig“, sagt Schröder. Es sei nicht leicht, jemanden zu finden, der auf einen Schlag 76 Hektar Land kaufen und bebauen kann. Notfalls werde die Bima die Kaserne selbst erschließen – also Straßen, Versorgungsleitungen und Abwasserleitungen erneuern – und dann die Baufelder stückweise verkaufen.

Das Hauptproblem ist die Erschließung, sagen Schröder und Pfeffer  unisono. Die Straßen müssen erneuert werden, alle Ver- und Entsorgungsleitungen ebenfalls. Ihr Trinkwasser haben die Amerikaner bis zum Abzug 2008 noch gechlort; das sei mit deutschen Vorschriften nicht vereinbar. Also müssen die alten Leitungen mit den Chlor-Rückständen raus.

Auch Platz für Festivals

Wie teuer die Erschließung wird, haben Planer aus Darmstadt und Kaiserslautern in einer Machbarkeitsstudie grob ausgerechnet: Die Straßenerneuerung schlage mit bis zu 1800 Euro pro Meter zu Buche. Allein die zentrale West-Ost-Verbindung vom Presley-Kreisel bis zur Görbelheimer Hohl ist 1,2 Kilometer lang. Neue Abwasserleitungen kosten demnach rund 1200 Euro pro Meter. Die Planungskosten für die Erschließung: mindestens 600 000 Euro.

Weiteres Geld kostet die Beseitigung von Altlasten und Weltkriegsmunition auf dem weitläufigen Gelände.

Wie die Ray-Kaserne in 15 Jahren aussehen kann, deutet die auf der Friedberger Homepage veröffentlichte Studie an. Im Norden sieht sie Wohnhäuser vor, im tiefer liegenden Süden eher Büros und Industriehallen. Freilich ist die Wohn-Nachfrage größer als das Interesse von Industrie- und Handelsfirmen, so Christiane Pfeffer. Machbar seien Studentenwohnungen, Geschosswohnungen und Einzelhäuser. Einige Kasernenbauten aus der Vorkriegszeit könne und müsse man weiter nutzen, weil sie wahrscheinlich bald ins Denkmalbuch eingetragen würden. Noch brauchbar sind laut Machbarkeitsstudie die alte Kantine und die Werkstätten der US-Soldaten.

Ein Hotel könnte laut Studie an der alten Bundesstraße 3 oberhalb des Presley-Kreisels entstehen.  Der Capri-Club direkt am Kreisel sei zu erhalten oder durch einen Neubau zu ersetzen. In früheren Jahren wurde an dieser Stelle ein Elvis-Presley-Museum diskutiert. Etwa an der Stelle des alten Kasernen-Sportplatzes im östlichen Teil könne man Sportstätten für die Friedberger Vereine schaffen. Und den drei Hektar großen Ostzipfel der Kaserne an der Görbelheimer Hohl deklarieren die Planer zum Veranstaltungsgelände. Wo die GIs einst den Häuserkampf übten, sei Platz für Festivals. Dort störe der Lärm niemanden, und Platz für die Besucher-Autos gebe es auch.

Die Geschichte der Ray-Barracks in Friedberg

Anno 1913 bezog das Hessische Infanteriebataillon 168 die nagelneue Kaserne auf dem Wartberg am Südrand von Friedberg. Schon im Jahr darauf mussten die Soldaten ins Feld. Die Kaserne wurde zum Gefängnis für kriegsgefangene Offiziere. Nach dem verlorenen Krieg wurde die Kaserne zum Polytechnikum – der heutigen Fachhochschule.

Die Nazis quartieren 1933 eine SA-Einheit und eine Wehrsportschule in den Gebäuden auf dem Wartberg ein. 1938 zog das Infanterieregiment 36 aufs erweiterte Gelände. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Kaserne weitgehend von Bomben verschont. 1945 zogen US-Soldaten der fünften US-Division (Spearhead) ein. Sie hatten von hier aus Einsätze in Bosnien und in beiden Golfkriegen. Mehr als 2000 US-Soldaten waren in Friedberg stationiert. Der berühmteste von ihnen war von 1958 bis 1960 der Sänger Elvis Presley.

Am 18. September verließ der letzte US-Soldat die nach dem Weltkriegs-Helden Bernard J. Ray benannte Kaserne. Seitdem sucht die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben nach einem Käufer. Zeitweise vermietete sie das Straßennetz an Autofirmen, die dort den Einsatz automatischer Steuerungssysteme testeten.

Wetterauer Apfel-Dämmerung

Es sieht nicht gut aus für die Ernte und die Wetterauer Streuobstwiesen

Von Klaus Nissen

Die Apfel-Saison naht. Wie viel Obst wächst dieses Jahr in der Wetterau? „Es wird unter dem Durchschnitt liegen“, prophezeit  Werner Margraf vom Obst- und Gartenbauverein in Ockstadt.  Denn der Mai war zu dunkel. „Das Licht ist wichtig für die Entwicklung des Fruchtansatzes. Der Mai hat durchschnittlich 160 Sonnenstunden. Aber in diesem Jahr waren es nicht einmal halb so viele.“

Auch Klaus-Dieter Kneip senkt den Daumen: „Im Frühjahr war es so kalt, dass die Bienen nicht aus den Stöcken kamen, um die Apfelblüten zu befruchten“. Im Taunus sehe man allerdings auch Apfelbäume voller Früchte, räumt der Geschäftsführer der Karbener Rapp’s-Kelterei ein. Er hofft, aus der Region wieder mehr als die Hälfte der zur Apfelwein- und –saftherstellung benötigten Äpfel zu bekommen. Die Großkelterei produziert mehr als 15 Millionen Liter Apfelsaft. Was sie hier nicht bekommt, kauft sie in Markgröningen bei Ludwigsburg am Neckar. Dort besitzt der Hassia-Konzern, zu der die Keltereien Höhl und Rapp’s gehören, eine weitere Großkelterei mitten in einem Obstanbaugebiet.

Die Karbener Kelterer bemühen sich stark um die Wetterauer Früchte. Auch kleinste Mengen nimmt der Betrieb an der Brunnenstraße von privaten Anlieferern ab. Los geht es etwa zwei Wochen später als sonst, wahrscheinlich in der zweiten Septemberwoche. „Wir werden nicht weniger als im vorigen Jahr für die Äpfel zahlen“, verspricht Kneip. Damals bekam man zehn Euro für jeweils 100 Kilo. Beim Apfelsammeltag am 12. Oktober werde man noch zwei Euro drauflegen, damit möglichst viele und auch junge Menschen den Wert der heimischen Frucht erkennen.

Daran hapert es nämlich. Apfelbäume zu kultivieren macht viel Arbeit. Man muss sie fachgerecht beschneiden, Baumscheiben frei halten und die Wiesen zweimal im Jahr mähen. Andrea Menzenbach hat eine Obstwiese in Bingenheim: „Ich suche im Moment jemanden, der seine Schafe auf die Wiese treibt. Meine Pferde schaffen es nicht, das Gras kurz zu halten.“ Es sei auch schwer, Landwirte zu finden, die die Obstgrundstücke pflegen. „Ich habe die Bäume seit zwei Jahren nicht mehr beschnitten“, gesteht die bei der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz arbeitende Echzellerin. Ihr fehle einfach die Zeit dazu. „Und das Aufsammeln der Äpfel ist eine Knochenarbeit. Es lohnt sich eigentlich nicht.“

So kommt es, dass an vielen Stellen die Obstwiesen von Brombeerranken erobert werden.

200 000 Hochstamm-Obstbäume stehen noch auf gut 3000 Hektar Streuobstwiesen in der Wetterau, schätzt Frank-Uwe Pfuhl von der Umweltwerkstatt Wetterau in Assenheim. „Viele Obstbäume sind überaltert und wurden seit Jahrzehnten nicht mehr richtig gepflegt. Es sieht gruselig aus. Die Bäume verpilzen und brechen weg, wenn der Wind etwas stärker weht.“ Weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt, pflanze kaum noch jemand junge Apfelbäume nach. Und selbst die haben es schwer, ergänzt Werner Margraf aus Ockstadt: An der Rosbacher Quelle sei vor Jahren vom Brunnenbetrieb eine ganz neue Obstwiese angelegt worden. Dort halte man zwar das Gras kurz, doch die Bäumchen hätten seit Jahren keine Pflege mehr bekommen. Etliche von ihnen würden bald absterben.

Viele Streuobstwiesen werden untergehen, glauben Margraf und Pfuhl. Das hält Pfuhl für schlimm, weil rund 5000 Tier- und Pflanzenarten auf Obstwiesen gedeihen. Der Steinkauz könne zum Beispiel nur dort seine Jungen aufziehen.

Einige Streuobstwiesen werden bleiben. Manche Wiesen im  östlichen Kreisgebiet bewirtschaftet der Naturschutzfonds Wetterau, dem der Kreis und alle seine Kommunen angehören. „Wir versuchen, weitere Flächen in die landwirtschaftliche Nutzung zu bringen“, sagt der im Kreishaus arbeitende Geschäftsführer Burkhard Olberts. Es sei nicht leicht, Landwirte für die arbeitsaufwendige Obstwiesenpflege zu finden. „Manchmal muss man Geld in die Hand nehmen.“ Das komme zum Beispiel herein, wenn Kommunen Ökopunkte für Bauprojekte ansammeln müssen. Für 35 Eigentümer organisiert der Naturschutzfonds Einsammlung und Abtransport von bis zu 300 Tonnen Äpfeln auf 40 Hektar Land zur Karbener Kelterei. Damit will man laut Olberts Wiesenbesitzer ermuntern, den Apfelwein-Rohstoff weiter zu produzieren.

Sieben weitere Wiesenbesitzer haben einen Nutzungsvertrag mit der Kelterei in diesem Sommer unterschrieben, so der Agraringenieur Caesar. Alle vier bis sechs Wochen organisiert er einen „Runden Tisch Streuobst Karben“. Da tagen bis zu 20 Leute in der Juice-Factory von Rapp’s, erzählt Caesar. Im November wolle man einen Verein gründen, dessen Mitglieder sich gegenseitig beim Beschneiden, bei Mäharbeiten und bei der Vermittlung von Mäh- und  Rüttel-Maschinen zur Ernte von Kelterobst unterstützen. Beim Kelterfest am 15. September wird die Initiative für den Verein werben. „Wir sind nicht auf das Karbener Stadtgebiet begrenzt“, betont Clemens Caesar. Bei uns machen auch Wöllstädter und Rodheimer mit.“ Man bringe Grundschülern in Petterweil und Kurt-Schumacher-Schüler auf die Apfelwiesen und plane Obstbaum-Patenschaften: Da können junge Leute die Bäume auf den Wiesen alter Leute oder von abwesenden Besitzern pflegen und bekommen dafür ein Ernterecht.

Die Streuobst-Initiative erreicht man per Mail über kontakt@agrar-botanicals-consult.de. Es gibt auch eine Homepage: www.streuobstkarben.twoday.net.

 Alte Liebe

Gestern Abend hatte ich ein Rendezvous mit einer Geliebten aus alten Tagen nach langer, langer Zeit. Als sie mir in meinem Zimmer gegenüberstand und ich sie langsam, fast zeremoniell entblößte, spürte ich, wie sehr ich sie geliebt hatte.

Die langen gemeinsamen Abende. Meine endlosen Monologe. Ihr stummes Hinnehmen. Wie damals stand sie vor mir, noch befleckt von all meinen Versuchen, meine Fehler auszulöschen.

Als ich sie mit meinen Fingern berührte, war es wie in jenen fernen Jahren. Es war fast so wie beim ersten Mal. Ein leises Vibrieren ging durch ihre Glieder. Ihr vielleicht etwas kantiger Körper ist so anmutig. Und sie ist so verlässlich! Was immer wir zusammen taten, es blieb.

Die kurze Begegnung mit der alten Geliebten ließ die Nacht für mich sehr unruhig werden. Zweifel plagten mich. Warum war ich ihr untreu geworden? War hereingefallen auf dieses leichtlebige Flittchen, so jung, so schnell, so bunt, so grell? Wie oft reibe ich mir nach unseren hektischen gemeinsamen Stunden verzweifelt die brennenden Augen. Wie oft ist plötzlich verschwunden, womit wir uns stunden-, ja tagelang abgequält!

Sei gewarnt, du unzuverlässiges Ding. Meine alte Liebe ist da und wartet treu. Gestern Abend habe ich sie wiederentdeckt, leicht verstaubt in einer Ecke: Meine gute alte Schreibmaschine.

schreibmasch

 Frau der Tat

Helga Hell* ist eine Frau der Praxis.Theoretisches interessiert sie nicht. Bedienungsanleitungen ignoriert sie. Das ist nicht immer von Vorteil.

Einst hatte sie sich einen japanischen Kleinwagen gekauft. Gefragt, wie ihr der Wagen gefalle, schwärmte sie: „Er fährt fast ohne Benzin, ist klein, trotzdem geräumig, leise spritzig. Ein wunderbares Auto.“ Doch dann wich ihr Lächeln einer Sorgenfalte: „Blöd ist nur, dass der Hebel für das Fernlicht immer festgehalten werden muss. Das ist in Kurven gar nicht so einfach.“

Ein Blick in die Betriebsanleitung des schnuckeligen japanischen Kleinwagens hätte ihr offenbart: ein leichter Druck nach unten lässt den Hebel fürs Fernlicht einrasten. So fuhr sie jahrelang mit nach oben gezogenem Hebel – mit der Lichthupe, wenn sie Fernlicht brauchte.

Ihr Sohn bekam diese Anleitungs-Resistenz auch zu spüren. „Du hat meine Nähmaschine kaputt gemacht“, brüllte sie ihn an, nachdem er sich das Gerät in einem Anflug männlicher Emanzipation ausgeliehen hatte, um einen Aufnäher ans T-Shirt zu bringen. Danach hatte er den Ausschalter der Nähmaschine gedrückt. Dessen Existenz war Helga Hell dank strikter Missachtung der Bedieungsanleitung verborgen geblieben. Sie hatte die Maschine durch Einstecken oder Ziehen des Netzsteckers an- oder ausgeschaltet.

*Der Name Helga Hell ist frei erfunden, alles andere nicht.

Angesagt

Die Regionalbahn fährt von Friedberg nach Gießen. „Mit Halt an allen Unterwegsstationen“, verkündet die Zugbegleiterin über die Lautsprecher. Ach, könnte der Zug doch einfach nur an allen Stationen halten. Aber nein, er muss „Unterwegsstationen“ anfahren. Als könnte er die Gleise verlassen und zu anderen als denen unterwegs brausen.

Freiwillig komisch war dagegen ein Zugbegleiter in der Weihnachtszeit. Als der Zug hielt, drängelten alle Fahrgäste zu einer Tür. „Das ist kein Adventskalender. Sie können auch mehrere Türen öffnen“, verkündete der Schaffner.

Zahlenspiele

Als es Mode wurde, Silben oder gar ganz Worte durch Ziffern zu ersetzen, schrieb ich folgende Glosse, die mir immer noch gut gefällt:

Zum Ver2feln

Gebt 8. Wir Schließen”, steht riesengroß auf einem Transparent an einem Geschäft in Friedberg. Es ist Mode geworden, Worte oder Wortteile durch Zahlen zu ersetzen. Man hat damit nicht nur die Verblüffung auf seiner Seite, man spart auch Platz. Der Spareffekt ist interessant für Journalisten, denn hier kommt es manchmal auf Buchstaben an, denn Zeitungsseiten sind endlich und der Platz für Artikel ist oft knapp bemessen.  Wie schön, wenn dann viele Buchstaben durch eine einzige Ziffer ersetzt werden können. Ein Haus wird nur noch knapp reno4t, 1gem8es wird zwar nicht leckerer, aber kürzer, der Ver1treff schrumpft, der Duden wird m8los – und der Leser ver2felt.

Ein Gedanke zu „Lesestoff

  1. Bruno, es ist doch ok, wenn Du Deiner Alten Liebe wieder begegnest. Sei ehrlich! Ich bitte darum, dieses banale und absolut nicht passende Feigenblatt „Schreibmaschine“ zu entfernen um der Leserschaft zu erzählen, was wirklich passierte.
    Bashir

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