Wie Flüchtlingsfamilie Sogamanian ein Jahr nach der Rückkehr lebt.
Von Klaus Nissen
ALTENSTADT – Sie leben in verschiedenen Welten – die Flüchtlingsfamilie Sogamanian und Christian Schwarz-Schilling, der ehemalige Bundesminister und Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Ashot Sogamanian (55) und seine Frau Swetlana (50) verdienen wenig Geld als Reinigungskräfte. Schwarz-Schilling (83) hat Bezüge aus Unternehmensbesitz und Pensionen aus politischen Ämtern. Seine Visitenkarte nennt Adressen in Büdingen, Berlin und in Sarajewo, wo er zurzeit eine Professur innehat. Trotzdem sitzen die Sogamanians und Schwarz-Schilling fröhlich zusammen im Restaurant des Altenstädter Bahnhofs. Mit dem 22-jährigen Sohn Mamikon verbindet den Politiker sogar eine Duzfreundschaft. „Einmal im Monat besuche ich ihn zu Hause in Büdingen“, erzählt der junge Altenstädter. „Wir babbeln beide gern, und da kann es leicht bis in die Nacht gehen.“
Ohne Schwarz-Schilling wären die Sogamanians jetzt in Armenien – oder als Illegale irgendwo in Moskau. Vor 20 Jahren lebte die aus Aserbeidschan stammende Familie in der armenischen Stadt Kapan an der Grenze zu Aserbeidschan und der umkämpften Region Berg-Karabach. Weil der Vater nach eigenen Angaben in Opposition zur armenischen Regierung stand, floh die Familie 1997 nach Deutschland. In Altenstadt wuchsen die damals 14 und sechs Jahre alten Söhne Mikran und Mamikon mit der deutschen Sprache auf. Weil sie sportlich und gesellig waren, fanden sie Freunde beim VfL Altenstadt – Mikran als Kickboxer und Fußball-Schiedsrichter, Mamikon als Basketballer. Nach der Schulzeit wurden sie Sicherheitsexperten: Mikran im Maintower, Mamikon auf dem Flughafen.
Die Ausländerbehörde arbeitete beharrlich an der Abschiebung
Doch die Ausländerbehörde des Wetteraukreises und das Darmstädter Regierungspräsidium arbeiteten jahrelang hartnäckig an der Abschiebung der Familie. Bei einem Termin im Landratsamt wurden die Mutter und der älteste Sohn vor Weihnachten 2011 festgenommen. Die Polizei setzte sie ins Flugzeug nach Moskau. Der jüngere Mamikon ging mit, obwohl er krank war und eigentlich im Bett liegen sollte. Der Vater durfte wegen seiner Herzerkrankung noch bleiben.
Auf dem Moskauer Flughafen kollabierte Mamikon. Er landete für zwei Wochen in einer Isolierstation mit vergitterten Fenstern. Mikran und Swetlana wussten nicht, was sie tun sollten – sie kannten niemanden in Moskau. Sobald sie den Flughafen verließen, galten sie als Illegale. Da erbarmte sich eine aus Armenien stammende Flughafen-Mitarbeiterin, berichtet Swetlana. „Sie nahm uns in ihrer Plattenbauwohnung in Moskau auf. Da lebten wir dann acht Monate lang, ohne sie jemals zu verlassen.“ Erst nach zwei Monaten gelang es den Söhnen, via Internet Kontakt zu Freunden in Altenstadt aufzunehmen. Die alarmierten deutsche Medien. Doch auf Journalisten-Besuch ließen sich die Abgeschobenen nicht ein. Mamikon: „Das war zu gefährlich. Wenn die Moskauer Polizei mitbekommen hätte, dass wir dort wohnen, dann hätte sie jeden Tag 500 bis 1000 Rubel von uns verlangt.“
In der Wetterau lief es besser: Die Altenstädter machten Christian Schwarz-Schilling auf das Schicksal der Sogamanians aufmerksam. Er hielt die Abschiebung bald für eine Fehleinschätzung der Behörden. „Die haben den Sogamanians einfach nicht geglaubt“, sagt Schwarz-Schilling noch heute voller Empörung. Der massive Druck des Elder Statesman, der Altenstädter Freunde und etlicher Kreistagspolitiker führte im Sommer 2012 zur Rücknahme der Abschiebung. Trotzdem war es laut Schwarz-Schilling „unglaublich kompliziert“, die Rückkehr von Mutter und Söhnen bürokratisch korrekt zu organisieren. Die UN-Flüchtlingsorganisation musste dazu der Familie vorläufige Pässe ausstellen und Schwarz-Schilling tagelang in Moskau mit Amtsträgern verhandeln. Erst im September 2012 war die Familie wieder in Altenstadt zusammen.
Endlich ein normales Leben
Und jetzt? „Ich putze Büros in zwei Firmen“, sagt Mutter Swetlana. Ihr Mann hat sich soweit erholt, dass er ebenfalls putzen und Hausmeister-Dienste auf 400-Euro-Basis verrichten kann. Das Ehepaar hat armenische Pässe bekommen. Im Februar muss es sich wieder um eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bemühen. „Ohne Anwalt kommen wir noch nicht aus“, sagt Swetlana.
Der jetzt 30-jährige Mikran ist inzwischen deutscher Staatsbürger, lebt in Altenstadt mit seiner Freundin zusammen und arbeitet in der Firma ihres Bruders. Mamikon wartet noch auf seinen deutschen Pass. Mit Armenien habe er nichts am Hut: „Ich kann kein richtiges Armenisch. Und wenn ich dort hinflöge, würde man mich sofort verhaften, weil ich mich dem Wehrdienst entzogen habe.“ Noch erholt sich Mamikon von einer Operation. „Nächstes Jahr fange ich in Bruchköbel eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann an. Da muss man gut reden können. Und das liegt mir.“