Nur Gefühls-Themen zählen

Joachim Braun baut in Bayreuth am Lokaljournalismus der Zukunft

 Von Klaus NissenP1180240

Die gedruckte Tageszeitung wird bald aussterben – doch für den Lokaljournalismus gibt es ein Leben nach dlm Tode. Das prophezeit Joachim Braun (Foto). Der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier probiert in Bayreuth den Lokaljournalismus der Zukunft aus. Wie der aussehen könnte, verriet er am 19. Februar beim Frankfurter Mediengespräch der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nur Gefühls-Themen zählen

Der Blick auf die Geldbörse ist für Joachim Braun (rechts) unabdingbar. Der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier experimentiert mit einem Lokaljournalismus, der auch in Zukunft Geld einbringt. Rechts Michael Siebel, der die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung moderierte. Foto: Nissen

Der Blick auf die Geldbörse ist für Joachim Braun (rechts) unabdingbar. Der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier experimentiert mit einem Lokaljournalismus, der auch in Zukunft Geld einbringt. Links Michael Siebel, der die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung moderierte. Foto: Nissen

Die Blattmacher für die Printausgabe sitzen in Bayreuth neuerdings am Rande der Großraumredaktion. Alle Texte, Audios, Fotos und Filme der Reporter fließen zuerst in die Online-Ausgaben, verfügte der 49-jährige Chefredakteur. Online first – ganz konsequent. Den Vorsitz führt ein „Channel-Manager“. Der entscheidet, welches Thema zuerst auf Twitter erscheint, auf die Facebook-Seite kommt oder zum Dossier ausgebaut wird.

Die Homepage des Nordbayerischen Kurier soll sich ab dem kommenden Sommer stark verändern: Nur ein Dutzend Bilder mit knappen Unterschriften wird da zu sehen sein. Wer sie anklickt, erfährt mehr. Welche Bilder oben stehen, entscheiden in Zukunft die User. Das Programm Chartbeat liefert der Redaktion Echtzeit-Statistiken, welches Thema das Publikum gerade am meisten interessiert. Erfahrungswerte haben die Bayreuther schon jetzt: Meistgelesen war am 20. Februar das Porträt einer 20-Jährigen, die einen Schlaganfall erlitt. Gefolgt vom Protest gegen ein geplantes Flüchtlingsheim und dem Plan der Behörden, Spielhallen künftig nachts sechs Stunden lang zu schließen – ein Horror für manche Zocker.

 Nur was anrührt oder aufregt, wird gelesen

Das sind nun mal die Präferenzen der zahlenden Kunden. Man müsse sie emotional berühren, sagt Joachim Braun. „Wenn man sie nicht übers Herz erreicht, dann erreicht man sie gar nicht.“ Nur wer aus der Sicht der Leser schreibt, hat beim Nordbayerischen Kurier eine Zukunft. „Wir zeigen klare Kante“, sagt Joachim Braun. Jeder Kommentar müsse eine klare Meinung ausdrücken, kein Einerseits und Andererseits. Und: „Wir müssen einmal am Tag Stadtgespräch sein.“

So gewann der Nordbayerische Kurier bis jetzt 17 700 Facebook-Freunde – vor drei Jahren waren es noch 2 300. Während die Auflage und die Anzeigenmenge der gedruckten Zeitung sinkt, wächst die Zahl der Digital-Abonnenten auf niedrigem Niveau. Für Nicht-Abonnenten kostet jeder Artikel im Netz 39 Cent. Immer mehr Smartphone-Besitzer suchen beim Nordbayerischen Kurier nach Neuigkeiten, so Braun: „Die Nachfrage geht durch die Decke“. Doch leider sei in ganz Deutschland, also auch in Bayreuth noch keine gute Anzeigen-Vermarktung für Mobilnutzer gefunden.

 Rabattkarten und Videoschirme sollen Geld einbringen

Es reicht also nicht aus – die regionalen Medienhäuser brauchen zusätzliche Geldquellen. Sie kümmern sich zu wenig darum, findet Chefredakteur Braun. In Bayreuth hat Geschäftsführer Michael Rümmele schon vor über zehn Jahren eine „Kurier-Card“ eingeführt, mit der die Zeitungsleser Rabatte in vielen Läden, bei Reiseveranstaltern und Dienstleistern bekommen. Außerdem stellte der Verlag gut 80 Großbildschirme in Bayreuth und Umgebung auf. Die werden mit lokalen Nachrichten und mit Werbung bespielt.

Die Smarthone-Besitzer können ab Jahresmitte eine Karte ihrer Region aufrufen. Darauf blinken die Orte, von denen gerade frische, kostenpflichtige Nachrichten eingehen. Als weitere Geldquelle müssen die Verlage schließlich die Recherche- und Schreibkünste ihrer Journalisten an Firmen und Organisationen vermieten, glaubt Joachim Braun. Es geht um hochwertige PR, um Corporate Publishing. Allerdings sollten das nach Brauns Ansicht nicht die Leute erledigen, die die Tageszeitung machen.

Gebannt lauschte das Publikum im Frankfurter Spenerhaus den Offenbarungen des vom SPD-Landtagsabgeordneten Michael Siebel interviewten Chefredakteurs. Manchen war das alles nicht geheuer. Die Debatte wichtiger politischer Fragen bleibt auf der Strecke, argwöhnte eine Zuhörerin. Wenn die Journalisten von morgen nur noch emotionale Themen transportieren. Joachim Braun widersprach: „Alle politischen Themen haben doch einen emotionalen Hintergrund.“

Nordbayerischer Kurier in Zahlen

Rund 34 000 Zeitungen druckt der Nordbayerische Kurier täglich in Bayreuth für die 72 000 Einwohner zählende Stadt und das Umland im östlichen Fichtelgebirge. In den nächsten Jahren wird die Auflage auf etwa 23 000 sinken, sagt Chefredakteur Joachim Braun voraus. Auch die Anzeigenerlöse nehmen ab.

Im Internet gibt es noch Wachstum: Rund eine Million Besucher und drei Millionen Aufrufe (Pageimpressions) zählt die Zeitung im Monat. Wachsend, aber nicht ausreichend ist die Zahl der Epaper- und Digigalabonnenden. Es sind rund 1200. Der Umsatz des Medienhauses liegt laut Braun bei 24 Millionen Euro, es erwirtschaftet einstellige Gewinn-Quoten auf das eingesetzte Kapital. Eigentümer sind die Familien Ellwanger und Fischer und das SPD-eigene Unternehmen DDVG.

Das hessische Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES Hessen auf Facebook) veranstaltet 2015 mehrere Frankfurter Mediengespräche zur Zukunft der Medien. Die nächsten Termine sind am 28. Mai, 1. Oktober und 3. Dezember. Mehr auf der Facebookseite der Stiftung und über landesbuero.hessen@fes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert