Apfelwein wird zum Kult-Produkt

 Kelterer setzen auf süße und gemixte Apfelweine

Die Kelterer produzieren immer mehr süße Apfelwein-Varianten und finden damit jugendliche Kunden. Der Rückgang des Apfelwein-Konsums sei gestoppt. Das aktuelle Sommerwetter macht das Glück der Produzenten perfekt. Apfelwein wird zum Kult-Produkt.

 Es musste etwas geschehen. Der von Natur aus eher saure Apfelwein fand im letzten Jahrzehnt immer weniger Genießer. Ältere Leute, die ihren Schoppen aus Gewohnheit nicht nur gespritzt, sondern auch pur trinken. «Wir hatten Angst, dass uns die Kunden wegsterben», gesteht Christoph Heil, Keltereibesitzer in Laubuseschbach.Inzwischen blickt er optimistisch in die Zukunft. Es sei seiner Firma und der ganzen Branche gelungen, mit Marketing und neuen Produkten das Image des hessischen Regionalgetränks zu erneuern. Den Anfang machte vor fünf Jahren der alkoholfreie Apfelwein. Jetzt sind auch Mixgetränke der Renner: Gute Umsätze bringen laut Heil zum Beispiel der mit Kräuteraromen angereicherte «Hessen Sprizz“ und der in diesem Jahr eingeführte «Hessen Hugo» – eine nach Südtiroler Rezept erstellte Mischung aus Apfelwein, Holunderblütensirup, Prosecco, Limette und Minze. Etliche Kunden kauften diese Produkte schon wegen der korpulenten Badeanzug-Gestalten auf dem Etikett, berichtet Heil.

apfelwein

Die zur Hassia-Gruppe gehörende Großkelterei Höhl in Maintal-Hochstadt macht mit Lifestyle-Apfelwein ähnlich positive Erfahrungen. Fruchtig-süffige Mixgetränke in kleinen Longneck-Flaschen verkaufen sich gut, berichtet Johanna Höhl. Die mit 2,3 Prozent nur gering alkoholhaltige Getränkegattung «spricht die junge, unkomplizierte und feierfreudige Zielgruppe der Partygänger an», so die Herstellerin. Es sei gelungen, neue Zielgruppen zu finden. Etwa die Frauen. «Der Umsatz mit unserem Rosé-Apfelwein entwickelt sich wunderbar», so die Keltereichefin. Der mit zwei Prozent Johannisbeersaft gefärbte Apfelwein gefalle Leuten, die auch Prosecco trinken. Zunehmend sei der Rosé-Äppler in Supermärkten gefragt. Den größeren Keltereien gelang es sogar, mit Cola gemischten Apfelwein an junge Kunden zu bringen.

Apfelwein wird zum Kult-Produkt

Nicht nur süße Zusätze – auch geschickte Vermarktung nutzen etliche Hersteller, um Apfelwein «hip» zu machen. Die Kelterei Possmann bietet zum Beispiel eine Äppler-App zum Download an. Smartphone-Besitzer können damit herausfinden, wo das nächste Stöffchen zu haben ist, virtuelle Strichlisten führen und hessische Floskeln üben. Die 2007 gegründete Marke «Bembel with Care» in Mannheim vertreibt ihren Lifestyle-Apfelwein per Internet-Versand und sammelt auf der eigenen Facebook-Seite positive Bewertungen (Likes). Die damaligen Design-Studenten Kjetil Dahlhaus und Benedikt Kuhn erklärten ihr Lieblings-Getränk einfach zum «Kult». Er wird in schwarze Dosen abgefüllt. Zusätzlich kann man schwarze Bembel kaufen. Inzwischen vertreibt auch die Frankfurter Kelterei Possmann Apfelwein in Dosen, speziell für Eintracht-Fans mit dem Adlerwappen des Bundesliga-Vereins verziert.

Die zweite Vermarkungsschiene richtet sich an Menschen, die edle Produkte mögen und kaufen. So mischt Höhl seinen Apfelwein mit Sekt und Wein aus Oestrich-Winkel. Bembel-with-Care entwickelte einen Apfel-Schaumwein, der beim ersten Wettbewerb gleich den «Pomme d’Or» erhielt. Was für Apfelwein-Connaisseurs wichtig ist, meldet der Frankfurter Konstantin Kalveram im Netz auf der Seite «Apfelwein-Blog.de». Im Stadtteil Sachsenhausen gründete er mit Michael Rühl ein Apfelwein-Kontor, das auch mal zweistellige Euro-Preise für gute Tropfen kleinerer Hersteller aus Hessen und dem Ausland verlangt. Es gebe zwar viele gute Standard-Apfelweine aus dem Supermarkt, so Rühl. «Doch eigentlich schmecken die alle gleich.» Der Rohstoff sei Tafelobst von Bodensee oder aus Polen. «Apfelwein braucht Streuobstwiesen, Äpfel von alten Sorten, die knorzig auf den Bäumen wachsen.» Leider lohne es sich kaum noch, diese Wiesen zu pflegen oder für acht Euro pro Doppelzentner die Äpfel zum Keltern zu liefern.

Dieser Einwand trübt die gute Stimmung allerdings nicht. Sowohl Rühl, als auch die Mannheimer Dosen-Kelterer und die Maintaler Rosé-Produzenten sehen Marktchancen für ihre Produkte in fernen Bundesländern und sogar im Ausland. «Wir exportieren nun nach Australien», berichtet Apfelwein-händler Rühl. Dort gebe es noch keine Hersteller, obwohl der «Cider» down under sehr beliebt sei.

Jeder Hesse trinkt fünf Liter im Jahr

Rund 33 Millionen Liter Apfelwein produzierten die 43 Mitgliedsbetriebe im Verband der hessischen Apfelwein- und Fruchtsaftkeltereien im vorigen Jahr. Hinzu kommt die nicht statistisch erfasste Apfelweinproduktion der selbstkelternden Wirte und Direktvermarkter und der zahlreichen hessischen Obst- und Gartenbauvereine. Im Durchschnitt trinkt jeder Hesse pro Jahr fünf bis sechs Liter Apfelwein, schätzt der Verband der Kelterer. Kelterer Christoph Heil in Laubuseschbach vermutet, dass jeder Deutsche im Jahresdurchschnitt höchstens einen halben Liter Apfelwein zu sich nimmt. Das sei steigerungsfähig. Am meisten Apfelwein wird zwischen Kassel und Mannheim getrunken, mit einem deutlichen Schwerpunkt im Rhein-Main-Gebiet. Auch in den angrenzenden Bundesländern können die größeren Keltereien die Supermärkte beliefern. Neu auf den Markt kommen laut Verband immer mehr Apfelwein-Mixgetränke. Sie seien zum Beispiel in Berliner Szene-Bars sehr beliebt. Insgesamt machten die Mixgetränke rund zehn Prozent des gesamten Umsatzes der Branche aus – mit wachsender Tendenz. Die Apfelweinproduktion selbst ist laut Verband nicht mehr rückläufig.

Die Politiker und Tourismusmanager müssten mehr für das «hessische Kulturgut» Apfelwein unternehmen, fordert der Frankfurter Branchenkenner und Apfelweinhändler Michael Rühl. Sie müssten mehr unternehmen, um die Streuobstwiesen zu erhalten und das Getränk zu vermarkten. Der für seine veredelten Apfelweine und –brände bekannte Kelterer Jörg Stier aus Bischofsheim sieht das ähnlich: Es gebe einen großen Nachholbedarf, die einzigartige hessische Apfelkultur zu pflegen, zu vermarkten und auszubauen. Ausländische Touristen seien fasziniert, wenn sie in seinem Laden entdecken, dass man neben Getränken auch Käse, Schokolade, Wurst, Brot, Senf und mehr mit Äpfeln oder Apfelwein herstellen kann. Diese neuen und alten Apfelprodukte ernähren laut Stier inzwischen etliche Hersteller. Zu finden sind sie unter anderem in den drei Frankfurter Hessen-Shops.

Nachrichten aus der Apfelweinszene finden Sie im Apfelwein-Blog
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert